Mittwoch, 13. Mai 2009

Riverine Zones Bilderserie auf Spree2011 (Berlin)


Riverine Zones Text auf Spree2011 (Berlin)
http://spree2011.de/de/bildserien/riverine/


Riverine Zones
Text von Viola Fissek © 2009

Wasser und Zeit sind die Konstanten im Werk von Philipp Geist. Der Künstler, Autodidakt und Wahl-Berliner arbeitet international in den Medien Videoinstallation, Audio/Visuelle Performance, Malerei und Fotografie. Seine Projekte sind in erster Linie gekennzeichnet durch ihre Integration von Raum, Ton und Bewegbild.

Die Video-Raum-Installation ''Riverine Zones'' nimmt den Betrachter mit auf eine Entdeckungsreise durch internationale Flüsse. Der Künstler macht eine Welt sichtbar, die uns so nah und gleichzeitig doch so fern ist. Mit einer Unterwasser-Kamera streift er durch alle Zonen des Flusses: den Grund, das tiefe oder seichte Wasser und die Oberfläche. Er bezieht auch, aus der Wasserperspektive, das Ufergebiet mit ein, dessen englische Bezeichnung „riverine“ sogar Namensgeber des Projekts wurde.

Flüsse sind Teil unserer Lebenswelt, wir betrachten sie aus dem Auto, befahren sie auf Ausflugsdampfern oder sitzen an ihren Ufern. Man hat eine Vorstellung davon, wie es dort unten aussieht, Dokumentationen über Fische und Wasserpflanzen haben uns konkrete Bilder geliefert. Doch wer weiß, was dort unten jenseits aller Forschungen und dokumentarischer Auslese passiert, wenn der Kamera-Sucher nicht auf die Pirsch nach bestimmten Arten und geologischen Erscheinungen geht. Bei dem Projekt Riverine liegt der Fokus auf fotorealistischen Aufnahmen, nach Naturereignissen in Echtzeit, denn der Ansatz ist nur teilweise dokumentarisch. Der Betrachter der Videoinstallation ''Riverine Zones'' versinkt vielmehr in einem alternativen Zeit-Raum, dessen ganz eigene Gesetze und Bewegungen er auf sich wirken lässt.

Und doch zeigen die Filme keinen rein zufälligen Ausschnitt des Lebens im Fluss, und keine beliebigen Aufnahmen. Philipp Geist steht am Ufer und auf Brücken und führt die Kamera. Sie wird an ihrem langen Kabel abgeseilt und lässt sich mit den Wogen des Wassers treiben. Strömung und Fließgeschwindigkeit nehmen zwar starken Einfluss auf ihre Bewegungen, weshalb Kameraschwenks und -bewegungen nicht in der gleichen Art und Weise möglich sind wie an Land, jedoch sieht Geist die Aufnahmen auf einem neben ihm stehenden Monitor und kann dadurch beeinflussen, was er wie lange und auf welche Weise filmt.

So trifft man auf vielerlei Lebewesen der Flora und Fauna, Gestein oder Unrat, oder aber die Kamera blickt ins Leere, man sieht Partikel schweben, Blasen aufsteigen oder nur ein undurchdringliches Grau. Die Ästhetik der Bilder ist teils dokumentarisch, teils fremdartig, grob und pixelig, teils fehlbelichtet, unscharf, farbintensiv oder auch monochrom. Die Kamera entführt uns in einen Unterwasser-Weltraum, den wir nicht kennen, der vielmehr durch die Kamera erst entsteht. Neben der Art der Aufnahme und Führung der Kamera ist es auch die Auswahl von verschiedenen speziellen Unterwasserkamera-Typen, die durch ihre eher einfache Bauart und durch die gelegentliche Verwendung von Lichtstrahlern die Welt verfremdet darstellen und bewirken, dass eine ganz ungewöhnliche Farbigkeit und Überzeichnung der Bilder entstehen.

Man fühlt sich vom Leben an der Luft abgeschnitten, in eine unmittelbare Parallelwelt ab- und eingetaucht. Selbst wenn Geist mit der Kamera, die dann halb aus dem Wasser ragt, das Ufer filmt, ist uns unsere gewohnte Umwelt durch diese andere Sichtweise fremd, nicht zuletzt wegen der fehlenden, uns bekannten Geräusche der Außenwelt. Unterlegt ist das Bild mit monotonem Unterwasser-Sound. Beim Betrachten fühlt man sich wie ein Schwimmer, der auftaucht und dem fehlendes Raumgefühl, ungewohnte Töne und eine Perspektive von schräg unten die Orientierung erschwert.

So werden vor allem wohlbekannte Stadtansichten neu erfahrbar gemacht. Von den Aufnahmen, die in dem langfristig angelegten Projekt von bereits 19 Flüssen gemacht wurden, zeigen einige Filme Haupt- bzw. Großstädte in Europa und Nordamerika. Ströme, Flüsse und kleine Bäche werden aber in der Installation gleichberechtigt präsentiert. Erweitert werden soll das Projekt auch um Flüsse aus anderen Kontinenten, vor allem Asien und Afrika.

Philipp Geist stellt die Unterwasserwelten verschiedener Metropolen und Orte gegenüber: Das klare Wasser eines Flusses steht im Kontrast zu einem Kanal voller weggeworfener Dinge, wie etwa Dosen, Straßenschilder oder auch Fahrräder. Mit der Herangehensweise eines Suchenden spürt er mit Unterwasser-Videokameras Lebewesen und Pflanzenwelten auf. Aspekte des menschlichen Umgangs mit der kostbaren Ressource Wasser in unterschiedlichen Regionen der Welt werden so zu Tage befördert. Die Brisanz von Umweltthemen und die Bedeutung von Umweltschutz wird dem Betrachter nicht mit dem erhobenen Zeigefinger ins Bewusstsein gebracht, eine Herangehensweise, auf die mancher schon abwehrend und resigniert reagiert. Vielmehr wird auf ungewohnte und subtile Weise nahegebracht, wie schön, rätselhaft und in letzter Konsequenz schützenswert die von unseren Giften bedrohten Lebenswelten sind.

Zusätzlich zur Verwirrung durch ungewohnte Bewegungsabläufe und Perspektiven wird die Orientierung des Betrachters durch die Art der Präsentation der Videoaufnahmen und Video-Standbilder erschwert: Geist ermöglicht mit seinen Ausstellungskonzepten ein Eintauchen in die Bildwelten nicht nur eines einzigen Flusses, sondern vieler Fließgewässer gleichzeitig. Diesen Eindruck bekommt man gerade bei wandfüllenden Projektionen mit mehreren Videoprojektoren. Die gewohnte körperliche Zuordnung zu einem Ort wird gestört und das teils realistisch wirkende Bild vermittelt dem Betrachter eine Gleichzeitigkeit der Verortung.

Das Projekt wird immer für den jeweils vorhandenen Ausstellungsraum neu konzipiert. So besteht die Möglichkeit, gerade auch in kleineren Räumen die Filme auf Monitoren zu zeigen, die auf- oder nebeneinander stehen. So entsteht eine neue Räumlichkeit, in der das Geometrische, Fixierte und Technische des Monitors dem Fluss bzw. Wasser mit seinen typischen Merkmalen, nämlich das Natürliche, Flüssige und nicht Greifbare, einen Rahmen und eine Form gibt.

Weitere Ausstellungsversionen ermöglichen die Integration von Videostandbildern in Fotoformat. Diese können die Raumstruktur auf ganz unterschiedliche Art und Weise unterstützen. Zum Beispiel werden Videostills aneinandergereiht, so dass eine Tapete aus Flussbildern entsteht, die in ihrer Dichte ein Kaleidoskop von Fluss-Momentaufnahmen bildet. Auch hier wird den organischen Motiven eine Struktur entgegengesetzt, die im Ganzen ein Eintauchen ermöglicht und erneut eine Art Gleichzeitigkeit schafft. Die Zeit ist eingefroren und das Wasser zum Stillstand gekommen. So kann man in Ruhe betrachten, was das Auge normalerweise nicht fassen kann. Strukturen und Bewegungsformationen, aber auch Lichtspiele und zufällige Formen kommen zum Vorschein, die ohne Kamera unentdeckt geblieben wären. Einmal mehr hat die Fotografie im weiteren Sinne das Flüchtige festgehalten, und zwar nicht nur die Zeit, sondern auch das Wasser.

Ein weiterer Bestandteil des Projektes sind Satellitenbilder von Google Earth. Diese markieren die Stellen, an denen die Kamera ins Wasser gelassen wurde. Es wird eine relativ genaue Lokalisierung der Unterwasserfilme vorgenommen und auch die flussnahe Umgebung aus der Vogelperspektive gezeigt. Die Aufnahmen hängen in mäandernden Formationen an der Wand. So stellt Philipp Geist den Netzwerkgedanken bildlich dar, den er beim Sammeln seiner Flüsse verfolgt. Ein Fluss fließt buchstäblich in den anderen, da die Ausschnitte der jeweiligen Flüsse aneinandergefügt werden. Dazwischen sind Monitore in der Größe eines Fotos platziert, die den Makroblick der Satellitenbilder um einen Mikroblick der Unterwasser-Aufnahmen ergänzen.

Bisher gefilmte Flüsse:

Chicago River (Chicago / USA)
Dâmbovita (Bucharest/ Rumänien)
Donau (Regensburg)
St. Laurent (Montreal/ Kanada)
Daugava (Riga/ Lettland)
ISAR (München/ Deutschland)
Thames (London/ England)
Regent Canal (London/ England)
Tiefenbach (Polling/ Deutschland)
Spree (Berlin/ Deutschland)
Elbe (Dresden/ Deutschland)
Elbe (Hamburg/ Deutschland)
Ammer (Weilheim/ Deutschland)
Rhein (Cologne/ Deutschland)
Ruhr (Witten a.d. Ruhr/ Deutschland)
Amstel & IJ (Amsterdam/ Niederlande)
Weser (Bremen/ Deutschland)
Neckar (Stuttgart/ Deutschland)
Tevere/ Tiber (Rom/ Italien)

Die Videostandbilder werden als Editionen herausgegeben. Weitere Informationen auf:

Philipp Geist
www.p-geist.de
www.videogeist.de

Riverine Zones
http://riverine.videogeist.de
http://riverinezones.blogspot.com


Die Autorin

Viola Fissek hat Europäische Ethnologie und Anglistik in Berlin und London studiert. Sie arbeitet als Autorin, Reisejournalistin und Übersetzerin in Berlin. Ihre Hauptinteressen liegen in der Stadt-, Mode- und Alltagsgeschichte und der Biographieforschung.

Neben Tätigkeiten in einer Berliner Werbeagentur und in einem Kunstverlag schreibt sie seit 2003 Projekt- und Pressetexte über Philipp Geists Werke und unterstützt ihn inhaltlich und konzeptionell bei seinen Installationsprojekten.

Donnerstag, 7. Mai 2009

Riverine Zones at Vimeo