Mittwoch, 7. September 2016

Tagesspiegel 04.09.2016 Atlantis in den Tiefen von Köpenick

Tagesspiegel 04.09.2016 Atlantis in den Tiefen von Köpenick 
http://www.tagesspiegel.de/kultur/berliner-ufer-8-atlantis-in-den-tiefen-von-koepenick/14495634.html






Berliner Ufer (8) Atlantis in den Tiefen von Köpenick

In Köpenick, wo Dahme und Müggelspree sich treffen, lässt der Künstler Philipp Geist seine Kamera tauchen - und entdeckt entrückte Welten und surreale Kraterlandschaften. 
VON 
Phillip Geist versenkt seine Kamera nahe der Mündung von Müggelspree und Dahme.
Mehr Artikel
Philipp Geist versenkt seine Kamera nahe der Mündung von Müggelspree und Dahme.FOTO: THILO RÜCKEIS

Philipp Geist steht am Ufer und hält seine Nylonschnur ins Wasser. Das ältere Paar, das vorbeiläuft, stellt Mutmaßungen an. Erstens: Geist messe die Wassertiefe, für irgendwelche Bauarbeiten vielleicht. Zweitens: Er beabsichtige, einen Hecht zu fangen, und der schwarze Kasten neben ihm auf dem Boden sei ein Grill, um den Fisch gleich an Ort und Stelle verzehren zu können.
Ganz falsch ist die Angelthese nicht. Bloß dass Philipp Geist keine Lebewesen, sondern Bilder fängt. Von Orten in Städten, die Menschen sonst verborgen bleiben. Heute sind es die letzten Meter der Müggelspree. Am nordwestlichen Rand der Köpenicker Altstadt, dort, wo sie auf die Dahme trifft und zur Spree wird, lässt Geist seine wasserdichte Kamera in die Tiefe.
Wie idyllisch es hier ist. Am Ufer liegt kein Müll rum, nirgends sieht man platt getretene Kaugummis, auch kaum Graffiti. Passanten spazieren oder sitzen auf ebenfalls sehr sauberen Holzbänken. Am Himmel ziehen Möwen ihre Kreise, am gegenüberliegenden Ufer blickt Philipp Geist auf Trauerweiden und kleine Bootsanleger. Sehr friedlich alles. Das schlimmste Vergehen, was man sich hier von seinen Mitmenschen vorstellen kann, ist maßloses Entenfüttern.

Geheimnisvolle Wasserwelt. Ein Apfel badet in der Müggelspree, im Hintergrund ist das Ufer zu erahnen.
Mehr Artikel
Geheimnisvolle Wasserwelt. Ein Apfel badet in der Müggelspree, im Hintergrund ist das Ufer zu erahnen.FOTO: PHILIPP GEIST/VG BILDKUNST

Unter der Wasseroberfläche ist die Welt viel düsterer. Hektischer auch. Die Kamera filmt Algen, herumwirbelnde Blätter, aufsteigende Luftblasen, Gekräusel am Flussboden. Oben steht Geist und beobachtet auf seinem Smartphone in Echtzeit, was ihm unten vor die Linse kommt. Die Daten werden per Wifi übertragen. Einige Standbilder wird der 40-Jährige später ausdrucken und so sein Langzeitprojekt „Riverine Zones“ erweitern. Denn Geists Kamera kam schon weltweit in Flüssen zum Einsatz. In Rom, München, Montreal. Seit zehn Jahren macht er das. Ein paar seiner Werke sind gerade in der Ausstellung „Bitteres Wasser“ in der Galerie im Hafen Rummelsburg zu sehen.
Ups, da treibt ein Apfel an der Oberfläche. Geist zupft oben an der Schnur, umkreist das Obst mit seiner Kamera . Wenn er später die Aufnahmen sichtet, wird er nicht immer erkennen können, was genau er da eigentlich gefilmt hat. Viele Bilder haben Schlieren, sind unscharf, zeigen große Schatten. Erinnern an bizarre Fantasiewelten. Geist will das so. Er sagt, er habe kein Interesse an perfekter Ausleuchtung. Er wolle keine Details sezieren. Er drehe hier schließlich keine Naturdoku fürs Fernsehen. Jetzt wird es laut. Ein Ausflugsschiff fährt vorbei. Aus den Boxen dröhnt nervige Schlagermusik: „Der Wal hustet laut, was kommt da denn raus? Es ist die fette Schwester von Klaus und Klaus.“ Ein paar Betrunkene winken. Philipp Geist winkt zurück.

SOMMERSERIE "BERLINER UFER": MÜGGELSPREE UND DAHME
Videokünstler Philipp Geist fotografiert mit seiner Unterwasserkamera am Ufer der Dahme, kurz vor der Einmündung Müggelspree an der Altstadt in Berlin-Köpenick.
1 von 8FOTO: THILO RÜCKEIS
Videokünstler Philipp Geist fotografiert mit seiner Unterwasserkamera am Ufer der Dahme, kurz vor der Einmündung Müggelspree an...

Er kommt aus dem oberbayrischen Städtchen Weilheim, der deutschen Öffentlichkeit als Geburtsort von Fußballnationalspieler Thomas Müller, Popinteressierten als Brutstätte der Überband The Notwist ein Begriff. Seit 17 Jahren lebt Geist in Berlin. 300 Meter Luftlinie von der Stelle entfernt, an der er jetzt Bilder fischt, liegt das Rathaus Köpenick mit der berühmten Bronzestatue des Hauptmanns davor. Geist kennt das Gebäude gut, es ist sein Bürgeramt.
Blick aufs Smartphone. Das klare Wasser der Müggelspree, sagt Geist, sei das genaue Gegenteil des üblen Gebräus, das er vergangenes Jahr in Ägypten vorgefunden hat. So viel Plastikmüll und sonstigen Dreck wie im Nil habe er bisher nirgendwo herumschwimmen sehen. Es war ihm eine Lehre. Bevor er in diesem Herbst die indische Millionenmetropole Pune besucht und seine Kamera dort in den Mula taucht, werde er Plastikhandschuhe überstreifen.
Dass Geist so viel umherreist, liegt an seiner zweiten Leidenschaft. Er ist Lichtkünstler und liebt großflächige Fassadeninstallationen. In den letzten Jahren hat er den Königspalast von Bangkok, die Christusstatue in Rio de Janeiro, den Palazzo delle Esposizioni in Rom, den Azadi Tower in Teheran ausgeleuchtet. In knalligen Farben verkleidet. Er ist wie Christo, nur dass seine Verhüllungen nach Ende der Aktion viel leichter zu entfernen sind. Knopf gedrückt, Licht aus.

Als würde die Zivilisation versinken

Wo immer Geist unterwegs ist, hat er seine wasserdichte Kamera im Gepäck. Oft scharen sich bei seinen Angelversuchen kleine Trauben um ihn. Menschen, die sich wundern, warum bei dem seltsamen Deutschen mit dem Panamahut nie etwas anbeißt. Auch am Ufer der Köpenicker Altstadt zieht er Blicke auf sich. Ein junger Mann schaut skeptisch von der Parkbank rüber, als sei ihm in der U-Bahn ein schlechter Sänger begegnet.
Was die Kamera filmt, entscheiden in der Regel zwei Kräfte: die Strömung des Flusses und Geist selbst, der an seinem Kabel dreht und die Kamera so rechts- oder linksherum rotieren lassen kann. In Köpenick fließt das Wasser ganz langsam. Wüsste man es nicht besser, könnte man das Gewässer für einen See halten. Tatsächlich beginnt genau hier, wo Geist jetzt steht und die Schnur baumeln lässt, die Reise des vorbeifließenden Spreewassers durch Berlin. Je nach Jahreszeit braucht es mal acht Tage, mal mehrere Wochen, bis es in Spandau angelangt – dort, wo die Spree dann in die Havel mündet.


Zu jedem Tauchgang gehört auch der Blick direkt an der Oberfläche. Untere Hälfte Wasser, obere Stadt. Sieht aus, als würde die Zivilisation versinken. Sieht aus, als würde Köpenick untergehen.

Zuhause wartet das Ergebnis

45 Kilometer fließt die Spree durch Berlin. Philipp Geist hat an so einigen Uferstellen entlang dieser Strecke gestanden. Oft hat er sich gewundert, wie viele Fische er unter Wasser filmen konnte. Rotfedern, Güster, Plötze. Kein Vergleich etwa zum Tiber in Rom, der so verdreckt ist, dass dort überhaupt nichts mehr schwimmt.
Was sich der Künstler genau geangelt hat, sieht er erst zu Hause, sobald er das Material auf seinen Rechner lädt und auf dem großen Bildschirm sichtet. 60 Bilder pro Sekunde hat die Kamera gemacht. Im besten Fall ist es dann, als greife man in eine Wundertüte. Man schaut nach, welche Kunstwerke der Zufall komponiert hat. Welche Ausschnitte gewählt wurden, welche Fokussierung sich dieses Mal so ergeben hat.

Entrückte Welten, surreale Kraterlandschaften

Der Köpenicker Tauchgang hat sich gelohnt, sagt Philipp Geist. Entrückte Welten sind ihm begegnet, surreale Kraterlandschaften. Ein paar Barsche auch, nur schemenhaft erkennbar. An der Oberfläche Treibgut, das sich kaum identifizieren lässt. Am meisten begeistert ihn aber der Apfel. Die leuchtenden Farben, die Spiegelung. Fast wie ein Rembrandt-Gemälde, sagt Philipp Geist.
Das nächste Mal möchte er seine Kamera am anderen Ende der Spree, in Spandau, an der Schnur herablassen. Und dann sehen, wie das Wasser aussieht, wenn Berlin mit ihm fertig ist. Ob dann immer noch Leben möglich ist.

Montag, 11. Juni 2012

Press Tagesspiegel Alles Im Fluss Philipp Geist 10.06.2012

Press Tagesspiegel
Alles Im Fluss
Philipp Geist
10.06.2012

Text Sebastian Leber

Tagesspiegel - Alles im Fluss - Riverine Zonen Philipp Geist


http://www.tagesspiegel.de/weltspiegel/reise/fotografie-alles-im-fluss/6726508.html


FotografieAlles im Fluss

08.06.2012 17:11 Uhrvon 
An der Donau in Regensburg. Foto: Philipp Graf
An der Donau in Regensburg. - FOTO: PHILIPP Geist
Rom. München. Montreal. Bangkok. Der Berliner Philipp Geist taucht seine Kamera in die Gewässer bekannter Städte.  So bringt er verborgene Seiten zum Vorschein. Und manchmal entdeckt er dabei Gruseliges.
    • Information zum Datenschutz
    • Soziale Netzwerke dauerhaft einschalten
Als hätten sie auf ihn gewartet. Die Kamera ist noch keinen Meter im Wasser, da schwimmen sie bereits zu Dutzenden vor seiner Linse herum, manche ganz nah, andere aus sicherer Entfernung. Es scheint, als seien die Fische neugierig, als beobachteten sie das silbergrau glänzende Etwas. Das Gerät, das doch eigentlich gerade sie beobachtet.
Keine Ahnung, was die nun denken oder ob sie überhaupt groß etwas denken, sagt Philipp Geist. Er ist schließlich kein Biologe, und das hier soll keine Tier-Doku werden. Jedenfalls seien die gestreiften Exemplare Barsche und die anderen wohl Rotfedern. Von beiden gebe es reichlich in der Spree.
Philipp Geist verfolgt ihre Bewegungen oben auf einem Monitor. Der misst in der Breite nur sechs Zentimeter, und die Abendsonne blendet ein wenig. Später in seinem Atelier in der Leipziger Straße wird Geist das Videomaterial noch einmal gründlich sichten, und erst dann wird ihm das Fahrrad auffallen, das in Treptow, 500 Meter östlich vom Badeschiff, in Ufernähe auf dem Grund liegt. Vollständig algenbedeckt ist es und kaum zu erkennen, ganz anders als das Rad, das er damals in der Isar fand.
Wer Philipp Geist fragt, was er denn da hantiere, mit seiner Kamera, dem Display und dem langen Kabel, erhält als Antwort: Bilderangeln. Oft steht er mehrere Stunden an einem Fleck, wo möglich auf einer kleinen Brüstung oder einem Steg, der über das Wasser ragt, so wie heute am südlichen Spreeufer in Treptow. Normalerweise hängen an seiner Kamera schwere Metallringe, die seine Konstruktion nach unten ziehen und stabilisieren, aber heute sind sie gleich zu Beginn abgefallen, als Geist versucht hat, seine Bilderangel mit Schwung ins Wasser zu werfen, dabei aber das Geländer der Brüstung traf. Immerhin funktioniert die Kamera noch, auch keine Selbstverständlichkeit, denn das muss er ständig: mehrere Hundert Euro für eine neue Unterwasserkamera ausgeben. In München war die Strömung so stark, dass sich seine Kamera an einem Felsen verhakte und Geist nur so lange ziehen konnte, bis das Kabel riss. Aufgeben wollte er nicht, lieber holte er seine Ersatzkamera aus der Tasche. Die war auch bald weg und der Drehtag endgültig zu Ende.
Der Berliner Philipp Geist reist an Flüsse in aller Welt, um seine Kamera einzutauchen... Foto: Sebastian Dudey
Der Berliner Philipp Geist reist an Flüsse in aller Welt, um seine Kamera einzutauchen... - FOTO: SEBASTIAN DUDEY
Das Innere von Flüssen gehört zu den ganz wenigen Lebensräumen einer Stadt, die dem Menschen im Alltag verborgen bleiben, sagt Geist. Also will er sie sichtbar und zugänglich machen. Aber bitte nicht sezieren, nicht bis in den letzten Winkel ausleuchten. Das würde den Bildern allen Zauber nehmen. Geist stört auch nicht, wenn ein Fluss so sandig trüb ist wie die Amstel in Amsterdam oder so verdreckt wie Roms Tiber. Meist wirke die Parallelwelt dann umso entrückter . Und manches ist leichter zu ertragen, die Hunde- und Ochsenkadaver in Bangkoks Chao Phraya zum Beispiel. Seine Videoaufnahmen wirft er später als Endlos-Projektionen an Galeriewände. Oder er druckt Standbilder aus, auf Pastellpapier, Marke Hahnemühle, da verlaufen die Konturen noch stärker. Von diesen Momentaufnahmen hängt er Hunderte nebeneinander auf.
Seit sechs Jahren reist Philipp Geist umher, 28 Flüsse hat er bis jetzt besucht. Was jeweils genau gefilmt wird, entscheiden in der Regel zwei Kräfte: Die Strömung des Flusses und Geist selbst, der an seinem Kabel dreht und die Kamera so rechts- oder linksherum rotieren lässt. Manchmal wirken noch andere Kräfte mit: In Vancouver klebte plötzlich etwas Rundes auf der Linse, Geist glaubt bis heute, dass es sich um den Saugnapf eines Tintenfischs handelte. Es dauerte keine zwei Minuten, da war schon wieder eine Kamera futsch.
Mehr Standbilder, Videos und Ausstellungstermine unter http://riverine.videogeist.de. Andere Installationen des Künstlers unter www.p-geist.de.